Hintergrundaufgaben

05:33 Uhr: Das elektronische Spracherkennungs- und Wecksystem kommt seiner nervenden Funktion mit 90er Jahre Rock nach. Warum?! Erkenne meine Stimme, die da spricht: Aus! Ruhe! Ich will weiterschlafen. Noch mindestens 8 Stunden.
05:43 Uhr: Hatten wir in den 90ern wirklich so schlechte Musik?!
05:47 Uhr: Ich gebe auf und flüchte ins Bad. Das kann ja keiner mit anhören. Das erste Highlight des Tages: Der frisch gebrühte Kaffee wartet im Anschluss auf mich. Definitiv ein Vorteil, wenn der Mann dank Corona auch vorwiegend im Home Office arbeitet.
Dank des Kindes bin ich gezwungen, mich vernünftig anzuziehen. „Mama, es ist mir peinlich, wenn du in Jogginghosen zum Kindergarten gehst…“ (der kurze Erklärungsversuch, dass es tatsächlich meine Sporthosen waren und sie stolz sein soll, weil ich garantiert eine der wenigen Mütter, die überhaupt Sport… ach egal. Es wurde nur mit einem Augenrollen quittiert.)
06:30 Uhr: Spülmaschine ist ausgeräumt. Die Brotdose bestückt. Der Frühstückstisch gedeckt. Ich klappe den Rechner auf und verschaffe mir einen Überblick über die Mails und beginne abzuarbeiten. Generiere Links, erstelle ein Mailing in 4 Sprachen, verknüpfe Empfänger-Listen, teste Mails, informiere Partner, aktualisiere Landing Pages. (Und immer wieder meldet sich das kleine Stimmchen im Hinterkopf: Hoffentlich schläft das Kind noch etwas länger – das Mailing sollte doch heute um 10 Uhr raus).
08:13 Uhr: Geschafft. Das Mailing ist terminiert – Deadline eingehalten. Und prompt ertönt aus dem Nachbarraum „Maaamaaaa! Ich bin wach!“ – ach wirklich? Ich jetzt auch… Kind wird für den Kindergarten fertig gemacht, wir frühstücken zusammen. „Mama, heute joggen wir wieder in den Kindergarten. Das war gestern sooo lustig.“ Für wen?! Also joggen wir.
10:15 Uhr: Kind ist im Kindergarten, Grundordnung im Haus wieder hergestellt, der Zoo gefüttert. Zeit für den Schreibtisch. Das Telefon klingelt. Kunde: „Stör ich grade?“ – „Nee, ich hatte schon Langeweile…“ Der Mann poltert rein. „Möchtest du noch einen Kaffee? Ach, Entschuldigung, ich wusste nicht, dass du arbeitest.“ – Kommt also wirklich zu selten vor.
11:00 Uhr: Nächste Telefonkonferenz mit einem Medienpartner. „Ach, Sie sind auch im Home Office?“ – „Ja, aber tatsächlich immer.“ – „Oh, das könnte ich nicht. Aber schön ist es doch, so bequem. Wollen Sie nicht auch Video dazu nehmen?“ Nein, eigentlich nicht. Denn mit Arbeiten, Haushalt und Familie reicht es bei mir selten dazu, mich in irgendeiner Weise repräsentabel zu gestalten, was über den Weg zum Kindergarten hinaus reicht. Denn das ist mein einziger Radius. Und überhaupt: Früher (also vor Corona) haben Telefonate doch auch gereicht. Warum will jetzt auf einmal jeder Videokonferenzen machen? Einfach, weil sie stolz sind, dass die Technik da ist und meistens auch leidlich funktioniert? Ich für meinen Teil muss nicht sehen, wie der Lebenspartner meiner Gesprächspartnerin in Jogging-Hose (ja, ich weiß: Der hat’s gut…) während unseres Meetings zur Spüle geht und sich ein Glas Wasser holt. Zwei Minuten später zum Kühlschrank schlurft und sich einen Joghurt nimmt. Weitere zwei Minuten später den leeren Joghurt-Becher in den Müll bringt. Generell habe ich den Eindruck, dass plötzlich all diese Telefonate eine anheimelnde Atmosphäre verbreiten wollen, die jegliche berufliche Distanz im Keim erstickt. Man erfährt deutlich mehr private Details, als man je wissen wollte. Lock-Downs machen Menschen redseliger. Ja, ich bin Home Office-erprobt. Ja, ich habe mich bewusst dafür entschieden. Doch, Menschen mag ich schon, aber muss auch nicht zu viel davon haben. Denn wer Vollzeit berufstätig ist und trotzdem noch Familie und Haushalt managen will (zu aller und vor allem der eigenen Zufriedenheit) muss effizient sein. Lange Gespräche sind da nicht immer drin. Und wenn: Bitte nicht über die Tastatur-Geräusche im Hintergrund beschweren.
Bis zur nächsten Telko habe ich noch 45 Minuten. Genug Zeit, um Betten zu machen, einen Tee zu kochen, das Abendessen vorzubereiten und schnell zwei Mails zu versenden.
14:00 Uhr: Telefonat mit meinem Chef. „Ich weiß, dass du momentan rotierst und wahrscheinlich kaum vom Schreibtisch wegkommst.“ Unangenehme Stille, verlegenes Räuspern meinerseits. Zählt es, dass im Hintergrund mein Rechner ein Video exportiert, was ich zwischendurch „mal eben“ geschnitten habe? Oder soll ich lieber beichten, dass ich gerade während des Gesprächs den Trockner ausräume und Wäsche zusammenlege?
15:00 Uhr: Die Calls für heute geschafft. Ab in den Kindergarten. „Mama, du hast mich viel zu zeitig abgeholt.“ – „Ja, das denke ich mir auch jeden Tag. Was hältst du von einer Übernachtungsparty im Kindergarten?“ – „Das ist nicht lustig… Was machen wir heute?“ Tja, was machen wir? Es ist kalt und es wird bald dunkel und das Freizeitangebot ist Corona-bedingt stark eingeschränkt. Wir basteln einen Adventskalender für Oma und Opa. Wir malen. Zwischendurch ruft eine Freundin an. Event-Managerin, selbständig. „Sag mal, hast du zufällig was gehört, wer noch Marketingunterstützung sucht? Ich bin mittlerweile auch echt flexibel, was Aufgaben angeht…“ Während ich mir den Kopf zerbreche, welchen meiner Kunden ich loswerden möchte, kommentiere ich Bilder und gebe Rechtschreibtipps. Breche das Telefonat ab, um vorzulesen. „Mama, ich hab Hunger.“ Ich auch. Zum Essen hat die Zeit heute nicht gereicht. (Und wieso hatte ich vor zwei Wochen eigentlich noch so viel Zeit, dass ich mittags Sport machen konnte?! Digital, versteht sich. Mein Studio hatte schon den ersten Lock-Down nicht überlebt.) Aber vorher muss ich mal eben kurz zwei Mails beantworten und widerstrebend den Termin zum Datenschutzseminar annehmen. Und bevor wir uns hinsetzen, könnte ich doch noch den Export der Weihnachtskarte für einen Kunden anstoßen. Irgendwie hakt das Programm da…
Digitale Prozesse sparen so viel Zeit. Hat da jemand die Zeit für Systemabstürze, zusammengebrochene WLAN-Netze, überlastete PCs, … eigentlich mit eingerechnet!?
21:30 Uhr: Ich schließe die Tür zum Kinderzimmer. Atme auf – und setze mich an den Rechner. Ist doch schön, dass alles so digital funktioniert. Man immer und überall arbeiten kann. Und auch muss. Digitalisierung erhöht die Effizienz. Kann sein. Vor allem erhöht sie die Erwartungshaltung.
00:13 Uhr: Ich parke den Laptop auf dem Couch-Tisch. Soll er doch weiterarbeiten – ich geh jetzt schlafen. Auch so eine Hintergrundaufgabe.

Elisa Jannasch
Marketing-Beratung KREATIVE IDEEN, IN FORM GEBRACHT.